Wer Lust hat, durch einen der traditionsreichsten Häfen Russlands zu spazieren, kann dies im rund 30 Kilometer von Sankt Petersburg entfernten Kronstadt tun. Der bereits im Jahr 1703 parallel zur Newa-Metropole gegründete Marinestützpunkt verfolgte ursprünglich das Ziel, die neue Hauptstadt des Reiches zur Seeseite hin abzusichern.

Stolz einer ganzen Stadt: Die riesige Marine-Kathedrale.

Und tatsächlich schien Kronstadt als militärisches Bollwerk geradezu prädestiniert, schließlich befindet sich der Hafen auf einer inmitten des Finnischen Meerbusens gelegenen Insel namens Kotlin. Fast auf ganzer Fläche ließ sich die nach Petersburg hin verengende Ostseebucht von hier aus überblicken. Als feindliches Schiff unbemerkt zu passieren, war nahezu ausgeschlossen.

Sukzessive wurde der Stützpunkt in den folgenden Jahrzehnten zu einer tragenden Säule der russischen Marine ausgebaut. Doch so staatstreu, wie es anfänglich den Anschein hatte, dienten die Matrosen auf Kotlin nicht zu allen Zeiten. 1905 machte man seinem Ärger über die miserablen Zustände innerhalb der zaristischen Flotte auf Kotlin erstmals richtig Luft. 1921 eine weitere Revolte, die sich jedoch nicht mehr gegen den Zaren, sondern gegen die bolschewistische Regierung richtete.

Zar Peter der Große, in Bronze verewigt.

Es war also schon allerhand los in Kronstadt. Kaum zu glauben, wenn man heute in den trotz seiner 40.000 Einwohner reichlich verschlafen wirkenden Militärhafen kommt. Seitdem ein Schutzdamm über die gesamte Breite der Bucht Sankt Petersburg vor größeren Überschwemmungen bewahren soll, ist Kotlin – als quasi geographischer Mittelpunkt des kilometerlangen Bauwerks – von Norden her bequem mit Auto oder Bus erreichbar. Der südliche Teil des Dammes ist hingegen noch nicht befahrbar.

Sicherheit wird auf der Insel verständlicherweise noch immer groß geschrieben. Die Marine ist nach wie vor präsent, ein leichtes Misstrauen spürbar. Bis 1997 brauchte jeder Besucher Kronstadts sogar noch einen offiziellen Passierschein. Ausländern war der Zutritt gänzlich untersagt.

Kronstädter Pegel, Ur-Maß des Meeresspiegels in weiten Teilen Osteuropas.

Nicht so die Situation heute: An warmen Tagen sind es vor allem badehungrige Petersburger, die sich zur westlichen Spitze der Insel hin ein Plätzchen am Strand suchen, um die Sonne zu genießen. Auch tummeln sich auf der Insel vereinzelt Touristen und Reisegruppen.

Doch es wird schnell deutlich, dass die ebenfalls im Petersburger Umland gelegenen Höhepunkte Zarskoje Selo, Peterhof oder Pawlowsk mit ihren prachtvollen Bauten und atemberaubenden Grünanlagen klar bevorzugt werden – Dinge also, mit denen das hier und da verfallen wirkende Kronstadt nur am Rande aufwarten kann. Der Reiz jedenfalls liegt hier woanders.

Zwar existieren mit der riesigen Marine-Kathedrale samt Vorplatz sowie einem alten Palais des Zarenfreundes Menschikow oder der dem berühmten Petersburger Vorbild Gostiny Dwor nachempfundenen Kaufhalle auch in Kronstadt eine Handvoll architektonischer Sehenswürdigkeiten. Aber vielmehr besticht die Insel durch ihre Ruhe und Beschaulichkeit.

Leuchtturm auf Kotlin.

Die Stadtbürger – zumeist Marineangehörige – sind freundlich, aber zurückhaltend. Schnell spürt man, dass Fremde auf Kotlin noch längst keine alltägliche Erscheinung sind. Dies dürfte sich jedoch rasch ändern, wenn der Damm Richtung Süden erstmal vollendet ist. Es gibt Planungen, wonach der viel zu zähe Petersburger Stadtverkehr durch das bis 2010 abgeschlossene Bauprojekt entlastet werden soll. Mit der Ruhe wäre es dann auf Kotlin wohl vorbei. Doch das ist Zukunftsmusik.

Im Hier und im Jetzt lebt ein Tag auf der Insel von der etwas anderen Atmosphäre einer altehrwürdigen Hafenstadt. Es gibt die Ostsee, es gibt den Strand, dazu eine frische Brise und – gutes Wetter vorausgesetzt – einen Ausblick über die Bucht, den man lange nicht vergessen wird. Eine rundum willkommene Abwechslung für jeden, der auf die Pracht Sankt Petersburgs für einige Stunden verzichten kann.

 

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