Wem 300 Jahre Petersburger Stadtgeschichte nicht ausreichen, bietet sich im etwa 170 Kilometer südlich gelegenen Weliki Nowgorod die Gelegenheit, auf bedeutend älteren Pfaden zu wandeln. Die ehemals wichtige Handelsstadt wurde anno 859 zum ersten Mal urkundlich erwähnt und gehört damit zu den ältesten Siedlungen in Russland.

Die Kreml-Mauer zieht sich in einem leichten Bogen um den historischen Stadtkern.

Heute gleicht es daher fast einem geschichtlichen Augenzwinkern, dass Nowgorod in der deutschen Übersetzung “Neustadt” heißt. Denn ganz im Gegenteil ist hier – vor allem das historische Zentrum betreffend – so ziemlich gar nichts neu, was positiv ins Auge fällt. Historie pur in einer Stadt, die seit 1992 als Weltkulturerbe der UNESCO geführt wird.

Wie es sich für einen alten wirtschaftlichen Knotenpunkt gehört, liegt auch Nowgorod an einem Fluss – er trägt den Namen Wolchow. Dieser galt im frühen Mittelalter als einer der wichtigsten Versorgungswege zwischen Mittelmeer und Ostsee. Wohl auch deshalb schien das lebhafte Nowgorod – geprägt durch Ideen, Aufbruch und seine multikulturellen Einflüsse – prädestiniert, politisch völlig neue Wege zu gehen.

Millennium-Monument in Weliki Nowgorod.

So geschehen in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, als man in der Stadt eine auf russischem Boden bis dato einzigartige Verfassung schuf. In Verbindung mit dem Parlament – Wetsche genannt – wurden den Bürgern in Nowgorod unüblich viele Rechte eingeräumt.

Man wollte mitreden, aber auch mitbestimmen und stellte folglich per Wahlentscheid Regierungen und sogar die Erzbischöfe. Ein besonderer Freigeist, der dem liberalen Nowgorod über Jahre hinaus eine deutlich überregionale Vormachtstellung bescherte – so auch in Sachen Kunst und Architektur.

Städtisches Herzstück ist zweifelsohne der bis Mitte des 11. Jahrhunderts errichtete Kreml, weltweit einer der bekanntesten seiner Art. Im Zentrum der wuchtigen Anlage befindet sich das 1862 in Kronenform errichtete Mahnmal „1000 Jahre Russland“. Wenige Meter entfernt ist die ehemalige Kanzlei des Gouvernements, in welcher sich heute das Stadtmuseum mit einer Sammlung berühmter Ikonen befindet.

Strahlend weiß: Die Sophien- Kathedrale im Stadtzentrum.

Obwohl im 2. Weltkrieg erheblich zerstört, ist die Altstadt dank ihrer soliden Bauweise zu guten Teilen erhalten geblieben. Wo dennoch Lücken klafften, wurde später unter hohem Aufwand nachgebessert. So auch und wahrscheinlich gerade im Falle der Gotteshäuser, die sich zu Dutzenden über das Stadtgebiet verteilen.

Viele davon sind prächtig anzuschauen. Zu nennen wären beispielsweise die – im wahrsten Sinne des Wortes – alles überragende Sophien-Kathedrale mit ihren leicht silbrig schimmernden Kuppeln oder auch die Christi-Verklärungs-Kirche, im Inneren ausgestattet mit einigen wunderbaren Fresken.

Unweit der Sophien-Kathedrale steht der Facetten-Palast, ein weiteres Highlight der 200.000 Einwohner zählenden Stadt. Er wurde 1433 als das weit und breit einzige gotische Bauwerk errichtet. Heute werden hier Exponate aus nahezu 1000 Jahren lokalem und überregionalem Kunsthandwerk ausgestellt. Dinge von unschätzbarem Sammlerwert.

Das Ufer des Flusses Wolchow, gleich gegenüber dem Kreml.

Ein wenig außerhalb wartet mit St. Georg noch eines der ältesten russischen Klöster. Es erstrahlt bei bester Lage direkt am Ufer des Ilmensees mit seinen schneeweißen Fassaden. Beeindruckend auch die dazugehörige Kathedrale, vollendet anno 1119.

Apropos Ilmensee: Aus dem südlich direkt an Nowgorod heranreichenden Gewässer fließt der Wolchow auf einer Länge von rund 230 Kilometern in Richtung Norden, um im mächtigen Ladogasee zu münden; unweit von Sankt Petersburg.

Exakt hierhin zieht es nach einem erlebnisreichen Tag in mittelalterlicher Atmosphäre auch all jene Tagestouristen zurück, die sich in der Metropole bereits am frühen Morgen aufmachen mussten. Vielleicht der einzige Wermutstropfen, der mit einem Besuch in Nowgorod verbunden ist.

 

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